Von Thomas Horsmann, München
Ohne Korsett war weibliche Kleidung jahrhundertelang undenkbar. Inzwischen gibt es in Deutschland nur noch eine Handvoll Korsettmacherinnen. Eine derjenigen, die die komplizierten Arbeitsschritte beherrschen, ist Jutta Burghardt.
"Meine Kunden kommen aus allen möglichen Kreisen", berichtet Burghardt. Junge Frauen sind darunter, die für ihr Hochzeitskleid ein Korsett wollen, das als Oberbekleidung über dem Kleid getragen wird. "Das sieht ganz toll aus", schwärmt die geborene Münchnerin. Manche Kundinnen wollen historisch korrekte Kostüme und lassen sich dazu ein maßgeschneidertes Korsett anfertigen. Sie kommen oft aus der Reenactment-Szene, die historisch exakt eine bestimmte Zeit darstellen wollen. Diese Korsetts werden allerdings untendrunter getragen. Auch aus der Fetisch-Szene kommen Kunden und bestellen Leder-Korsetts. Mit Latex arbeitet Burghardt jedoch nicht, da sie keine Klebstoffe verwendet.
Erotik ist einer der Gründe, warum Korsetts getragen werden, denn es betont die weibliche Figur. Neben dieser sinnlichen Komponente gibt es aber auch praktische: "Es macht eine gute Figur, die Haltung ist aufrechter, man sitzt aufrechter und man fühlt sich einfach selbstbewusster", erzählt die Korsettexpertin. Die Funktion des Korsetts war immer, den Körper der modischen Silhouette anzupassen. Deshalb zählen auch Männer zu Burghardts Kunden, etwa 30 Prozent, schätzt sie. "Das ist nicht neu, um 1900 war das bei Männern in Mode", erzählt die Fachfrau.
Zum Korsettschneidern ist Burghardt wegen eines schicken Ballkleids gekommen, erzählt sie. Schon als junges Mädchen hatte sie Kleider und Kostüme genäht und ihre Fertigkeiten während ihrer Ausbildung zur Raumausstatterin vervollkommnet. "In dem Beruf habe ich aber so gut wie nicht gearbeitet", berichtet sie. Zunächst machte sie sich mit einem Laden für Leder-Accessoires selbständig, den sie aber wegen eines einträglicheren Nebenjobs wieder aufgab. Ihre Werkstatt verlegte sie nach Hause und schneiderte nebenher Kostüme und Dirndl. Dann kam die Einladung zu einem Ball mit dem Thema "russisches Märchen". Ein Jahr vorher begann sie ihr Kostüm zu entwerfen, eine freie Interpretation mit Korsett und großem Reifrock. Das Korsett war die große Herausforderung, denn bis dahin hatte sie sich lediglich mit klassischen Dirndl-Miedern befasst.
"Ich habe mich in das Thema eingearbeitet und mir dann einen geeigneten Korsettschnitt gekauft", berichtet Burghardt. Die Arbeitsschritte, die sie damals erlernt hat, sind heute die Grundlage ihrer Arbeit. Zuerst wird genau Maß genommen. Aus den über 23 verschiedenen Maßen wird der Papierschnitt erstellt und dann ein Muster aus dickem Stoff angefertigt. "Dünner Stoff würde sich ja sofort verziehen", so Burghardt. Das Muster wird dann anprobiert und geändert, solange bis es perfekt auf den Körper angepasst ist. Dann erst wird mit dem richtigen Material gearbeitet, ein spezieller Baumwollstoff, der sehr, sehr dicht im Fischgrät-Muster gewebt ist und sich nicht verzieht. "Den muss ich extra bei einer Spezialfirma bestellen, denn er wird nur noch selten hergestellt", erläutert sie. Mit dem Bügeleisen wird das Korsett immer wieder in Form gebracht, damit die Nähte nicht stören. Zum Schluss werden Spiralstäbchen aus Metall eingeführt, die dem Korsett den Halt geben.
Der Ball wurde ein voller Erfolg und Jutta Burghardt beschloss, sich als Korsettschneiderin selbständig zu machen. "Ich habe erstmal weitergeforscht und Fachforen für Korsettschneider besucht. Dort habe ich im Austausch mit anderen Korsettmacherinnen viel gelernt und viele Tipps bekommen", so Burghardt. Während dieser Zeit hat sie sehr viel geübt und immer wieder Techniken ausprobiert. Denn das Schwierige beim Korsettmachen ist die hohe Genauigkeit. Pro Naht hat ein Schneider ein Spiel von drei Millimetern, bei einem Korsett ist die Toleranz null.
"Die genaue Passform ist sehr angenehm und sie ist auch kein Problem, wenn man etwas zu oder abnimmt", erläutert sie. Gewichtsveränderungen bis zu fünf Kilogramm lassen sich nämlich durch das Schnüren anpassen. Vorne hat ein Korsett einen festen Verschluss aus Metallhaken, während es hinten geschnürt wird. Das geht relativ leicht und ohne fremde Hilfe. Denn von der frühen Neuzeit bis etwa 1910 war das Korsett eine ganz alltägliche Unterbekleidung, erzählt Burghardt. Unvorstellbar, dass man zum Anziehen Unterstützung benötigt hätte.
Der Preis für ein Unterbrustkorsett beginnt bei 430 Euro. Dafür braucht die Spezialistin etwa 20 Arbeitsstunden. Ein Überbrustkorsett, wie es zum Beispiel im Viktorianischen Zeitalter getragen wurde, ist deutlich teurer. Die Preise beginnen hier bei 630 Euro. Schließlich muss die exakte Brustform herausgearbeitet werden, damit es angenehm sitzt. Das erhöht die Arbeitszeit auf mindestens 35 Stunden.
Am meisten Spaß hat Burghardt, wenn sie ihre Leidenschaft für historische Kostüme und das Korsettmachen verbinden kann. Mit leuchtenden Augen erzählt sie von einer Kundin, mit der sie genau das verwirklichen konnte. "Wir haben gemeinsam das Kostüm entwickelt, den Stoff ausgesucht, Knöpfe, Spitze, alle Details", schwärmt sie. Und es sei genauso geworden, wie sie sich das vorgestellt hatten. "Das war mein schönster Moment!"
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